Mein früherer Arbeitgeber hat
dadurch immer wieder Kunden gewonnen. Meist für zwei bis vier Jahre, bis die
Aufgabe wieder neue ausgeschrieben werden musste. Jetzt ist es so weit. Ich
werde diesen Weg auch für uns bei Boncreativa ausprobieren.
Zunächst einmal prüfe ich, welche Portale Ausschreibungen zu Leistungen der Marketingkommunikation anbieten. Erstaunlich, wie viele das sind! Ich lese mich ein und siehe da, die ausgeschriebenen Aufträge reichen von der Strategie zur Entwicklung einer Dachmarke über das SEO-Projekt bis hin zur Funkspotkampagne für eine öffentlich-rechtliche Sendeanstalt.
Obwohl ich durch meinen ehemaligen
Arbeitgeber ja schon erste Berührungspunkte mit dem Verfahren hatte und an der
Schulung des Agenturscout teilgenommen habe, kommt mir das Procedere ziemlich
fremd vor. Im Laufe der kommenden Stunden wird mir auch klar, warum mein
ehemaliger Arbeitgeber für diese Tätigkeit einen eigenen Mitarbeiter
beschäftigte. Der war zwar nicht Vollzeit tätig, aber er kannte sich natürlich
bis ins Detail aus. Und um Details geht es hierbei wirklich.
Bezogen auf meinen jetzigen
Arbeitgeber fällt diese Aufgabe eindeutig in mein Ressort. Obendrein ist es
meine Idee, diesen Weg auszuprobieren. Ich definiere diese Woche als Woche, in
der ich mich in die Tiefen der Materie einarbeite. Wie gut, dass ich sowohl die
Zeit, als auch die Möglichkeiten dazu habe.
Die folgenden Tage sind
gekennzeichnet durch ein intensives Studium unzähliger Internetseiten, der
Betrachtung zahlreicher YouTube-Videos, der Teilnahme an Webinaren und dem
Wälzen von Fachliteratur. Spaß fühlt
sich anders an! Seit der Endphase meines Studiums hat mir der Kopf nicht mehr
so sehr geraucht. Erfolgten nicht ständig die freundlichen Getränkelieferungen der
einen oder anderen Kollegin 😊, bestünde die reale Gefahr, an dieser Thematik zu dehydrieren. Beruhigend
ist allerdings zu erkennen, dass es sich hier um einen formalen Prozess
handelt, der – wenn er einmal angelegt ist - mit wenig Aufwand und vielen
Textbausteinen immer wieder zu reproduzieren ist. Und das ist dann auch der
entscheidende Unterschied zu anderen Formen der Bewerbung. Werde ich als
Agentur zu einem Pitch aufgefordert, muss ich dort mit individuellen Ideen
antreten, an denen eine ganze Mannschaft lange Zeit gearbeitet hat. Im Falle
der Ausschreibung reicht es, dass eine Person - in diesem Falle: ich - die
notwendigen Unterlagen zusammenstellt und in einer - speziell aufbereiteten -
Form fristgerecht an den Auftraggeber oder die von ihm beauftragte Stelle
sendet.
Die Möglichkeit, „so leicht“ an qualifizierte
Auftragspotenziale zu kommen, lässt auch einige meiner Kollegen nicht mehr in
Ruhe. Ich befinde mich gerade in einem Webinar, in welchem es um das Erstellen
der Teilnahmeunterlagen geht, als Annika den Raum betritt. Ob ich denn von dem
Widerspruch gehört hätte, der das gesamte Ausschreibungsverfahren des XY-Amtes
um fast ein Jahr verzögert hat? Nein, habe ich nicht! Aber es ist doch ein
Beweis dafür, dass es hier nach Recht und Gesetz zugeht und jeder Bieter sogar
eine Rechtsgrundlage für die Anfechtung der Vergabeentscheidung hat. Die sollte
es auch mal für Pitchentscheidungen in der freien Wirtschaft geben!
Auf der Grundlage meines frisch
erworbenen Wissens treffe ich die Entscheidung, mich nur auf solche
Ausschreibungen zu bewerben, die das sogenannte „Verhandlungsverfahren“ gewählt
haben. Hierbei ist nämlich entscheidend, dass sich die Bieter erst einmal vorqualifizieren müssen. Man muss hier nicht befürchten,
gleich mit dem Stundensatz eines Anbieters aus Warschau verglichen zu werden. Ungeachtet
dessen sind im Folgenden jede Menge Formulare auszufüllen. Dabei ist höchste
Perfektion geboten. Wie ich noch aus dem Seminar mit Manfred Berger bei meinem
ehemaligen Arbeitgeber weiß, scheidet bereits hier ein hoher Prozentsatz der
Bieter aus. Und das nur, weil sie an den
formalen Anforderungen des Teilnahmeantrags scheitern. Den ersten Filter bei
der Bewertung von Teilnahmeanträgen bildet nämlich ein Sachbearbeiter der
Vergabeabteilungen oder eine mit der Durchführung des Vergabever-fahrens
beauftragte Anwaltskanzlei. Und die kennen kein Pardon bzw. halten sich strikt
an die Richt-linien: Fehlt bspw. eine einzige Unterschrift, wird die Bewerbung
ausgesondert und nimmt an dem weiteren Verfahren nicht mehr teil.
Nun sind Bankauskünfte und
Versicherungsbestätigungen zu besorgen und in Kopie anzufügen. Mir wird schnell
klar, warum sich so wenige Kreative mit dieser Form der Auftragsbeschaffung
beschäftigen. Gut so, denn wo hat man als New Business Manager sonst die
Möglichkeit, quasi im Alleingang den Unter-schied zu bewirken!
Dann wird es sogar noch ein wenig
kreativ. Nun geht es darum, die fachliche Eignung der Agentur für das konkrete
Ausschreibungsverfahren darzulegen. Verlangt wird dabei nicht die Erarbeitung
eines konkreten Vorschlags, sondern die Aufbereitung von Arbeitsproben und
Referenzprojekten, die die Arbeitsweise und Leistungsfähigkeit der Agentur
erkennen lassen. Hier lohnt es sich, den in der Leistungsanforderung genauer
beschriebenen Bedarf intensiv zu studieren und daraufhin die bestgeeigneten Cases
etc. aus-zuwählen.
Nachdem ich mir die
Leistungsanforderungen ungefähr ein halbes Dutzend Mal durchgelesen habe,
verstehe ich nun auch den damaligen Hinweis von Berger, dass man - mit ein
wenig Übung - anhand der Leistungsanforderungen schon den Wert eines späteren
Kunden erkennen kann. Also Augen auf bei der Auswahl der Ausschreibungen, an
welchen man sich beteiligt.
Nach rund vier Tagen ist mein
erster vollständig selbsterstellter Teilnahmeantrag meiner ersten Aus-schreibung
fertig. Viel Arbeit, aber vermutlich eine gute Investition, denn das wird nicht
der Letzte gewesen sein. Und ich schätze, dass - mit zunehmender Übung -
weitere Bewerbungen an Ausschreibun-gen nur noch einen einzigen Tag in Anspruch
nehmen werden. Das erscheint mir sehr rationell. Denn wenn sich diese Bewerbung
in dem gewählten „Verhandlungsverfahren“ aufgrund ihrer formalen Stimmigkeit
und aussagefähiger Leistungsdarstellungen in der ersten Phase behauptet, gelangen
wir direkt in eine Art Pitch-Verfahren. Und das alles mit einem klaren Zeitplan
und in einer Transparenz, wie man sie sich nur wünschen kann.
Als ich das Päckchen für den
Versand schnüre, fühle ich mich, als würde ich gerade auf eine Autobahn
auffahren. Mal sehen, wie weit ich komme!
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