Samstag, 8. Juni 2019

22. Kontakt aufnehmen

Silke Sommer hatte offenbar einen guten Riecher, als sie mich damit beauftragte, zehn der an den externen Akquisehelfer vergebenen Calls selbst durchzuführen. Die Ergebnisse dieses Akquisehel-fers sind bislang nämlich wenig ergiebig. Zwar werden oft Unterlagen und ergänzende Informatio-nen angefordert, aber rechtfertigt das schon den entstandenen Aufwand? Okay, der Einstieg ist dadurch zwar gemacht und dass dieser zunächst sehr zaghaft sein kann, damit haben wir auch gerechnet. Aber so richtig zufrieden sind wir trotzdem nicht damit. Zumal das Versenden von Unterlagen als zusätzliche Option zu dem Pecha Kucha Präsentationsangebot nicht vereinbart wurde. Die spannende Frage: Geht da vielleicht doch mehr?
Wie könnte man diese Frage besser beantworten, als es selbst auszuprobieren? Nun gilt es also, meine – bereits im Studium erworbene – Telefonkompetenz mit in die Waagschale zu werfen und die in mich gesetzte Erwartung auch zu erfüllen. Ich nehme den Telefonhörer also selbst in die Hand und bin gespannt.

Zunächst schaue ich mir meine zehn Kandidaten an. Welche Messen haben sie vor sich? Wann finden diese statt? Die XING-Profile der Kandidaten geben mir in den meisten Fällen schon interessante Informationen dazu, über welche Berufspraxis der jeweilige Ansprechpartner verfügt und wie lange er bereits in dieser Position ist. Diese Informationen sind nicht unwichtig, weil ich das Gespräch mit einem ehemaligen Agenturmitarbeiter anders führen werde, als mit einem Ansprechpartner, der noch keine große Erfahrung in der Zusammenarbeit mit einer Agentur haben kann.
In meiner bisherigen Akquisepraxis habe ich gelernt, dass die „Akquisitorische Positionierung“ sitzen muss. Also das Thema, mit dem ich das Gespräch eröffne. Das Thema muss klar und verständlich sein und gleichzeitig ausreichend Interesse erzeugen. Ich entscheide mich für das Thema „Messekommunikation“ und spekuliere darauf, dass es drei bis vier Monate vor der nächsten Messe der/des Angesprochenen ausreichend Aufmerksamkeit oder sogar Interesse erzeugen wird. Schließlich notiere ich mir noch ein paar Stichworte, mit denen ich – bei ausreichendem Interesse – zur konkreten Verabredung der beabsichtigten Pecha Kucha-Präsentation gelangen müsste.
Jetzt wird es spannend. Mit einem gewissen Adrenalinschub rufe ich die erste Kandidatin meiner ausgewählten Liste auf und wähle ihre Nummer. Da ich noch keine Durchwahl von ihr habe, wähle ich die Zentrale an. Als diese sich meldet, frage ich direkt nach der Durchwahl meiner gewünschten Gesprächspartnerin. Nicht selten klappt das und ich erhalte sie direkt. In diesem Fall habe ich kein Glück: „Die muss sie ihnen selbst geben!“ wird mir ausgerichtet. „Ich kann Sie aber mit ihrem Vorzimmer verbinden!“ Gut, darauf gehe ich natürlich ein. Es meldet sich Frau Kramer, offenbar die Assistentin. Ich notiere den Namen gleich in der Datenbank-Maske. „Guten Tag Frau Kramer, mein Name ist Marcus Weiß von Boncreativa. Ich hätte gerne Frau Oberländer gesprochen!“ „Um was geht es denn?“, will sie wissen. Gute Assistentin! „Es geht um ihren Auftritt auf der Hannover-Messe“, antworte ich. „Hatten Sie schon Kontakt mit Frau Oberländer?“, fragt sie hartnäckig weiter. Ich verneine wahrheitsgemäß und stelle mich als „den Neuen“ vor. Damit bleibt unklar, ob Frau Oberländer evtl. schon Kontakt mit meiner Firma hatte. Es funktioniert! Frau Kramer bittet mich um Geduld und verbindet.
„Oberländer!“, ertönt es nach einiger Zeit. Dies ist jetzt also meine Chance. „Guten Tag, Frau Oberländer“, steige ich in das Gespräch ein. „Mein Name ist Marcus Weiß von Boncreativa. Frau Oberländer, wie interessant ist das Thema Messekommunikation für Sie?“
Es folgt ein Moment des Schweigens. „Warum fragen Sie mich das?“, will sie schließlich wissen. Wunderbar! Ich liebe derartige Gegenfragen, in denen ich dazu aufgefordert werde, mein Angebot nun in vollem Umfang darzustellen. Und ein Angebot sollte es sein. „Wenn das Thema Messekommunikation für Sie interessant ist, würde ich Sie gerne im Rahmen einer Pecha Kucha Präsentation über erfolgreiche Verfahrensweisen, angefangen von der Besuchereinladung bis hin zur Nach-Messe-Betreuung, informieren. Wie interessant wäre das für Sie?“ Wieder ein kleiner Moment des Schweigens. „Was sagten Sie, Pecha Kucha-Präsentation? Habe ich noch nie gehört!“ „Ja“, antworte ich, „dabei handelt es sich um ein interessantes Präsentationsformat, bei dem exakt 20 Bildmotive für jeweils 20 Sekunden genutzt werden, um das Thema zu verdeutlichen. Wir haben dieses aus Japan stammende Format für unsere Zwecke adaptiert und bieten es in einer Online-Version an. Sie können es von ihrem Arbeitsplatz aus in Anspruch nehmen. Kein Besuch unsererseits. Ihr Zeiteinsatz beträgt mit allem Drum und Dran ca. sieben Minuten. Wir verabreden dafür einen separaten Termin. Wenn Sie vertiefenden Gesprächsbedarf haben, stehen wir Ihnen natürlich gerne auch darüber hinaus zur Verfügung. Wenn nicht, kennen Sie unser diesbezügliches Know-how und haben lediglich sieben Minuten in dieses Wissen investiert.“
„Klingt fair!“, höre ich von Frau Oberländer.
Nachfolgend verabreden wir den Zeitpunkt für diese Präsentationsform. Obendrein kann ich noch ein paar persönliche Daten – wie ihre persönliche E-Mail-Adresse und ihre Durchwahlnummer – erfragen und in meine Datenbank aufnehmen. Das Gespräch endet nach wenigen Minuten mit der konkreten Verabredung zu der angebotenen Präsentationsform.
Ich bin mir klar darüber, dass dieses Gespräch ideal verlaufen ist und es nicht immer so sein wird. Aber es zeigte auch, dass unsere Zielsetzung nicht unrealistisch ist und wir durchaus auf diese Weise Erfolg haben können. Und wie sagte mein alter Chef immer: Bei entsprechender Vorgehensweise und einer ausreichenden Anzahl von Kontakten kann man bei der Telefonakquise den Erfolg einfach nicht verhindern!
Ich schicke Frau Oberländer eine Bestätigungsmail mit dem verabredeten Termin und wende mich gleich dem nächsten Kandidaten zu. Das habe ich auch als hilfreich erkannt; gleich weitermachen. Selbst wenn es nicht so ideal begonnen hat, wie ich es gerade erleben durfte. Es lohnt, einen gewissen „Schwung“ aufzubauen und diesen dann auch weiter zu nutzen. Wesentlich ist dabei immer, konkret anzufangen!
Energiezehrend sind die Anrufe, bei denen ich niemanden erreiche. Leider ist das die Mehrzahl der Anwahlversuche. Hier ist es wichtig, über eine ausreichend große Anzahl von Zielen zu verfügen, damit man das Vorhaben nicht gleich wieder – mangels Zielen – einstellen muss.
Im weiteren Verlauf meines „Selbstversuchs“ bleibe ich stur bei meiner immer gleichen Einstiegsfrage. Sie ist Gold wert. Gelernt habe ich sie damals in einem Verkaufstraining. Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum Fragen allgemein so selten für den Einstieg in ein solches Gespräch genutzt werden. Ist die Frage doch ideal geeignet, die Gedanken des Gesprächspartners gleich zu binden und zu fokussieren. Gut für mich!
Im weiteren Verlauf meiner Ansprachen erlebe ich unterschiedliche Reaktionen auf meine Einstiegsfrage. Sie lassen sich gut in vier Varianten einteilen:
-       Interesse
-       Desinteresse
-       Gegenfragen
-       Fehlende Adressqualität (Mangelnde Zuständigkeit, keine Messeaktivität, Firmenschließung, Fusion, etc.)
Ein Gespräch mit unserem Akquisehelfer bestätigt mich in meiner Vermutung: Er arbeitet lieber „klassisch“ und sieht einen wesentlichen Teil seiner Dienstleistung darin, schon zu Beginn des Gespräches „möglichst viel Agentur zu präsentieren“. Außerdem zeigt er großes Unbehagen bei der Vorstellung, die Reaktionen, die er mit einer Einstiegsfrage provoziert, dann abwarten zu müssen. Er möchte die Gesprächsführung nicht „aus der Hand geben“. Es wird noch einiges an Aufwand erfordern, ihn aus seiner Routine zu holen und von der veränderten Vorgehensweise zu überzeugen.
Am Ende des Tages verfüge ich jedenfalls über die Gewissheit, dass unser Ansatz funktioniert. Als ich Silke Sommer über meine Erlebnisse informiere, erkenne ich ein zufriedenes Lächeln in ihrem Gesicht. Irgendwie macht sie den Eindruck, als hätte sie mit diesem Ergebnis gerechnet.
Manchmal ist sie mir richtig unheimlich.

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