Samstag, 25. Mai 2019

20. Prozess gestalten

Mein Freund Mark hatte mich ja schon darauf hingewiesen: Die Akquisitionsbemühungen sollten nicht mit der durchgeführten Präsentation enden; so nach dem Motto: Der Besuchte war begeistert, hatte keine Fragen mehr und wird sich bestimmt melden, sobald er einen konkreten Bedarf hat. Dieses Konzept ist schon bei meiner Freundin Adrien nicht aufgegangen. Ich erkenne meine Aufgabe darin, den Aufbau einer neuen Kundenbeziehung in seiner gesamten Komplexität zu planen. Das heißt: Module oder Maßnahmen zu entwickeln, die für die individuellen Anforderungen zur Verfügung stehen.
Im Internet finde ich ein interessantes Webinar, welches mir den Blick für eine systematische Kontaktentwicklung erschließt. Ich erkenne, dass ich darüber noch ziemlich wenig weiß. Die Situation bei meinem vorherigen Arbeitgeber war die, dass die Zielpersonen eine sehr hohe Eigenmotivation zeigten, den Kontakt von ihrer Seite aus zu halten. Dass das in meiner jetzigen Agentur anders ist, habe ich bereits erkennen können. 
Ich plane eine Abfolge von Phasen, die jeder Neukontakt durchlaufen soll.
Schritt eins ist die Überprüfung, ob der sorgfältig recherchierte Kontakt überhaupt für das angebotene Thema zu gewinnen ist. Konkret: Ist er aufgeschlossen für das Thema Messekommunikation? Sollte sich nämlich herausstellen, dass er das nicht ist, wäre jede weitere Aktivität zu diesem Thema unsinnig. Um dieses Feedback zu erhalten, werden wir ihn anrufen und den Grad seines Interesses erkunden. Vom Verlauf dieses Gespräches machen wir den weiteren Prozessverlauf abhängig. Die im CRM-System hinterlegte Dokumentation des Gespräches bildet die Grundlage dafür. Stellen sich dabei harte Fakten heraus, wie bspw. dass Agenturentscheidungen grundsätzlich an anderer Stelle getroffen werden, das Unternehmen gerade den Eigentümer wechselt etc., wird dieser Kontakt aus der regelmäßigen Bearbeitung herausgenommen.
Ein guter Impuls des Webinars ist die Verwendung von Mails, die einen erfolgten Telefonkontakt auf individuelle Weise abschließt. Hierfür werden drei Varianten empfohlen: die „Dennoch-Mail“, die „Info-Mail“ und die „Bestätigungs-Mail“. Sinn dieser Mailvarianten ist, zu einem nächsten Schritt zu kommen. Selbst die „Dennoch-Mail“ greift das Telefonat auf, bedauert, dass das angesprochene Thema auf kein aktuelles Interesse traf, erläutert noch einmal kurz den Nutzen des Angebotes und formuliert die Aufforderung, sich doch bei einem entsprechenden Interesse zu melden.
Die „Info-Mail“ präsentiert die gewünschte Credential, das gewünschte Fallbeispiel oder die wie auch immer geartete Zusatzinformation. Sie erläutert erneut das unterbreitete Angebot, erinnert an den angesprochenen Nutzen des Angebotes und dokumentiert die getroffene Vereinbarung. Also bspw. den vereinbarten Termin für den Folgeanruf.
Die Bestätigungs-Mail dokumentiert die getroffene Vereinbarung und teilt sie dem Ansprechpartner mit. In unserem Fall den Termin für die erste Pecha-Kucha-Präsentation.
Danach beginnt die eigentliche Meisterschaft: Nach Telefonat und Folgemail sollte der Akquisitionsprozess [W1] nun auf spezifische Weise weitergeführt werden. Der „Flirtprozess“ beginnt. Ich nehme an, dass die Ausgangspositionen dafür sehr unterschiedlich sein werden. Mal wird ein erkennbares Interesse bestehen, mal ein schwaches. In einigen Fällen wird es vielleicht sogar eine regelrechte Ablehnung unseres Angebotes geben. Die Herausforderung besteht darin, eine Kommunikations(platt)form zu finden, die all diese Interessenlagen aufgreift und in erster Linie in der Lage ist, Präsenz zu ermöglichen und Vertrauen aufzubauen. Ich will meinen Zielkunden besser kennen lernen und mich stärker in seinem Bewusstsein verankern. Und das auf eine Weise, die für mich machbar und für ihn angenehm ist.
Das klingt nach viel Arbeit und einem hohen Zeitbedarf. Ich schätze aber, dass die [W2] Zeit gut investiert ist, da sie das Vertrauen in uns aufbaut und damit die Voraussetzung schafft, die wir für eine spätere Beauftragung benötigen. Dass es bei uns eigentlich ein wenig „pressiert“, ist nicht das Problem unserer Ansprechpartner. Erfreulicherweise scheint diese Denke auch bei meiner Geschäftsleitung gegriffen zu haben. Die Zielsetzung, dass es sich hier nicht um die Akquisition von „One-Night-Stands“, sondern um die von werthaltigen, langfristigen Geschäftsbeziehungen handeln soll, ist allgemeiner Konsens. Die übereilte Abschlussfrage a‘ la „gehen wir zu Dir oder zu mir?“ kann also unterbleiben. Doch was macht jetzt Sinn, wie geht es weiter? Ein weiteres Telefonat? Meine private Vorgehensweise bei Adrien und ihrer Einladung zu der Poetry-Slam-Veranstaltung war ein guter Weg. Aus meiner alten Agentur kenne ich Veranstaltungsformate, die die Agentur für ihre Kunden und für Interessenten mehrmals im Jahr ausrichtete. Das waren Sommerfeste, Hafenrundfahrten, Kinopremieren, Museumsbesuche, Vorträge etc. Der Sinn war immer derselbe: Beziehungsaufbau und Beziehungspflege. Boncreativa verfügt bislang leider über keine derartigen Angebote. Sie wären die Lösung für mein aktuelles Problem.
In der Agentur treffe ich auf Robert Reinhold, unseren freien Texter. Er steht auf dem Gang und scheint auf jemanden zu warten. Etwas gedankenversunken beschäftigt er sich gerade mit seinem Handy. Ich versuche einen lockeren Spruch und meine, dass ich diese Aktivität als Zeitfüller sonst nur von meinen jüngeren Kollegen kenne. Er grinst mich – fast etwas mitleidig wirkend – an und meint, dass er sich gerade in einem sehr wichtigen Prozess seines New Business Developments befindet. Das macht mich natürlich neugierig. Es folgt seine kurze Darstellung davon, welchen Nutzen er aus seinen Facebook-Aktivitäten zieht. Und denen gehe er gerade nach. Zwischendurch! Ich zeige mich sehr verwundert. Er, tief in den Vierzigern, Facebook und New Business Development? Wie passt das zusammen? Habe ich da etwas nicht mitbekommen? Offenbar. Er gestattet mir einen kurzen Blick auf seine „Freundesliste“ (über 400!) und meint dazu, dass es sich dabei allesamt um tatsächliche oder potenzielle Auftraggeber handelt. Ich bin erstaunt. Schließlich gibt er mir noch den Tipp, diesem Thema eine gewisse Aufmerksamkeit zu widmen. Ich komme ins Grübeln.
In dieser Befindlichkeit verlasse ich schließlich die Agentur. Es ist ein wundervoller Sommerabend. Ich beschließe, mich an das Rheinufer zu begeben und abzuschalten. Mal sehen, ob mir das gelingt, denn Akquisition findet überall statt und ist dadurch allgegenwärtig. Was meine heutige Aufmerksamkeit im Besonderen findet, sind Menschen, die sich primär mit ihrem Handy beschäftigen. Und es sind erstaunlich viele darunter, die einen sehr etablierten und seriösen Eindruck machen. Kann es sein, dass diese sich – parallel – allesamt in den sozialen Medien rumtreiben?

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