Samstag, 20. April 2019

15. Strategischer Aktionismus

Die Notwendigkeit der gezielten Neukundengewinnung, in die uns unser unsicher gewordener Maschinenbaukunde gebracht hat, fördert ganz neue Züge bei meiner Geschäftsleitung zutage. Gerade Rainer König übertrifft sich darin, immer neue Ansprüche an einen neuen Alternativkunden zu formulieren. Es scheint, als wäre er richtig auf den Geschmack gekommen, sein Agenturschiff nicht nur unter Dampf zu halten, sondern auch strategisch auszurichten. Okay, eine klare Positionierung der Agentur gibt es immer noch nicht und natürlich muss auch dieses Mal alles möglichst schnell gehen. Aber dennoch; es ist nicht mehr jede Lösung willkommen und Silke Sommer scheint sich immer mehr mit ihrer Art durchzusetzen, von einem – vermutlich nur ihr bekannten – Ziel her die Dinge anzugehen.

Wir sitzen also wieder zusammen. Heute mit dabei: Sabine Kurz, die Account Direktorin des Maschi-nenbaukunden, und Ulrike Matuschek, die Creativ Direktorin. Die Themen drehen sich um die aktuelle Situation des Kunden, die Ungewissheit der Mitarbeiter des Kunden und deren Ängste, die bevorstehende Messe, die aktuellen Jobs, die Marktsituation generell, interessante Kundenalternativen und die eigene Personalsituation. Aktuell ist von einer Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, oder gar von Abwanderungs-gedanken unter unseren Mitarbeitern noch nichts zu spüren. Ulrike Matuschek gibt aber dennoch zu bedenken, dass einigen Mitarbeitern die ewige Routine zu schaffen macht. Neue Herausforderungen seien durchaus willkommen. Sabine Kurz pflichtet ihr bei. Der analoge Schwerpunkt des Kunden habe die Agentur zwar in ihrer Kernkompetenz gefordert, eine größere Aufgeschlossenheit eines neuen Kunden gegenüber digitalen Kommunikationsformen könnte aber sowohl die Agentur als auch die gesamte Branche einen weiteren Schritt nach vorne bringen. Rainer König gefällt dieser Gedanke, bei Silke Sommer habe ich den Eindruck, dass sie ein wenig in sich hineinlächelt.
Ich gebe einen Abriss meiner bisherigen Ansätze und kann auch über erste Rechercheerfolge berichten. So zeigte sich bspw., dass in einem interessanten Maschinenbauunternehmen unlängst die Marketing-leitung wechselte. Insgesamt wurde ein rundes Dutzend Maschinenbauer recherchiert, die die bereits definierten Voraussetzungen für die Aufnahme in unsere Akquisitionskampagne erfüllen. Jetzt sei allerdings der Zeitpunkt, zu dem wir diese Liste vervollständigen können.
Silke Sommer legte gleich vor. Sie äußerte die Vorstellung, dass eine börsennotierte Aktiengesellschaft auch unsere Kompetenz in Sachen Geschäftsberichten fordern würde. Hier wäre auch einiges in Sachen Bewegtbild möglich, merkte Ulrike an, schließlich werden auf Aktionärsversammlungen häufig auch Imagefilme eingesetzt. Und diesbezüglich verfüge Boncreativa schließlich über ein fabelhaftes Netz-werk, welches noch viel zu selten zum Einsatz käme. Von der Herausforderung an die eigenen Mitarbeiter einmal ganz abgesehen. 
Eine richtige Aufbruchstimmung war zu spüren. Weitere „Wünsche“ wurden geäußert. Ehrlich gesagt, machten sie mir auch ein wenig Angst, denn schließlich definierte sie auch die Höhe der „Latte“, die es künftig zu überspringen galt. Aber lieber so, als resignierend und perspektivlos an ein New Business Projekt heran zu gehen. Obendrein wurde mir bewusst, dass wir uns dadurch bereits in dem Prozess der Agenturpositionierung befanden. Und das alleine rechtfertigte schon die Anstrengung.
Rainer König setzte noch einen drauf: Er äußert den Wunsch, bei der Auswahl auch solche zu berück-sichtigen, die als Arbeitgeber gut beurteilt würden. Er könne sich nämlich vorstellen, dass das auch eine günstige Auswirkung auf das Arbeitgeberimage der Agentur haben könne. Ich hatte es schon immer vermutet: Er ist ein Fuchs!
Nach rund drei Stunden Meeting, ist mein Briefing eine Mischung aus Pflichtenheft und Wunschzettel. Man entlässt mich mit dem Hinweis, ich solle mir Gedanken dazu machen, welchen Zeitrahmen und welche Ressourcen ich für die Umsetzung dieser New Business Kampagne benötige. (Auf die Ergebnisse meiner diesbezüglichen Kalkulation bin ich selbst gespannt.)
Als ich die Agentur am Abend verlasse, wird mir bewusst, dass dies die wohl anspruchsvollste Aufgabe ist, die ich in meinem bisherigen Berufsleben zu bewältigen hatte. Ich freue mich darauf und sehe meinen Namen schon in den Gazetten der Branche auftauchen: „Erfolgreich durch strategisches Neugeschäft!“ Das wäre was! Da müsste selbst mein bisheriger Arbeitgeber passen, da sein Neugeschäft weit weniger offensiv verläuft.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen