Samstag, 2. Februar 2019

2. Das Mindset als Erfolgsfaktor des New Business

Tag zwei beginnt mit einem gemeinsamen Gespräch mit Silke Sommer und Rainer König. Wir treffen uns im Konfi. Rainer König beginnt gleich damit, dass er sich kaum vorstellen kann, dass meine Arbeit funktioniert. Und er wisse, wie Neugeschäft geht! Vor fast zwanzig Jahren habe er bei Null angefangen. Sein erster Kunde war der Bekannte eines Bekannten. Dieser war von Anfang an begeistert und ist der Agentur dann über Jahre treu geblieben. Seitdem hat sich die Agentur von Jahr zu Jahr weiterentwickelt. Im letzten Jahr war man sogar unter den ersten 25 der führenden Agenturen des Verbandes. Seiner Meinung nach beruht das ganze Thema Neugeschäft auf guten Beziehungen und einem aktiven Netzwerk. Mein Vorgänger habe es ja gezeigt. Er habe am Anfang einen so toughen Eindruck gemacht. Ein richtiger Verkäufertyp! Aber gebracht habe er nichts. Wie soll das denn auch gehen? „Aber ich will Sie natürlich nicht demotivieren!“, sagte er mit entschuldigendem Blick in Richtung seiner Geschäftsführerkollegin.

Silke Sommer lenkt auch gleich ein. Sie verweist darauf, dass Agenturen ihrer Größenordnung heute an so vielen Fronten kämpfen müssen, dass in jedem Fall ein Weg für ein systematisches Neugeschäft gefunden werden muss. Ihrer Meinung nach müsse es jemanden geben, der sich ausschließlich darum kümmere. Was von selbst reinkomme, reicht einfach nicht mehr aus, um die Agentur in ihrer jetzigen Größe konstant auszulasten. In diesem Moment wird mir klar, dass sie die treibende Kraft in dieser Angelegenheit ist und offenbar gegen gewisse Vorbehalte ihres Kollegen anarbeiten muss.

Ich beginne damit, erste Fragen zu stellen. Was wurde denn in Sachen Neugeschäft unternommen in den letzten zwei Jahren? Rainer König beginnt mit der Aufzählung verschiedener Aussendungen, die man gemacht habe. „Alle sehr kreativ!“ „So etwas hat man noch nicht gesehen!“, behauptet er. Mich beschleicht ein ungutes Gefühl. Ist das wirklich alles? Ist das das Niveau, auf das ich mich hier einlasse? „Natürlich haben wir auch alles andere schon ausprobiert“, legt Rainer König noch nach. „Facebook, XING und was es sonst noch alles gibt. Kann man alles vergessen!“. Er weiß schon gar nicht mehr, was alles ausprobiert wurde. Letztendlich habe alles nur Geld und unendlich viel Zeit gekostet.

Ich unternehme den Versuch, meinen ersten Eindruck aus dem bisher Gesehenen zu schildern. Dabei bin ich um größtmögliche Diplomatie bemüht, denn eigentlich habe ich in den ganzen Unterlagen nichts wirklich Substanzielles gefunden. Eine Zielkundenkartei o.ä. gibt es nicht. Die vorhandenen Aufzeichnungen von Kontakten bzw. Gesprächen sind kaum von Wert, weil sie eher eine ausgeführte Tätigkeit dokumentieren, als einen qualitativen Hinweis auf den Stand des Kontaktes geben. Das allerdings mit Datum und Uhrzeit! Es wäre mir nicht möglich, den Stand der aktuellen Interessentenkontakte zu erkennen, sage ich. Keine Kategorisierungen nach Interessensgrad, keine Wiedervorlagen, keine erkennbaren Prioritäten in Bezug auf die angesprochenen Unternehmen. Noch nicht einmal die kompletten Kommunikationsdaten der Gesprächspartner mit genauer Funktion.

Es ist still im Raum. „Nun ja, dafür haben wir Sie ja jetzt“, sagt Rainer König und versucht dadurch das Ruder in der Hand zu behalten. Silke Sommer wird da schon konkreter: „Wir haben schon gemerkt, dass Ihr Vorgänger nicht sehr systematisch arbeitete. Seine Qualitäten lagen mehr im persönlichen Auftritt. Er konnte sehr hartnäckig sein!“

Mir wird klar, dass ich mich in meiner Arbeit umstellen muss. Das Niveau meines bisherigen Arbeitgebers war ein deutlich anderes. Gut, dass ich das erleben durfte. Ohne diese Erfahrung wäre die hiesige Aufgabe für mich kaum einzuschätzen, geschweige denn zu bewältigen. Was mir allerdings Kopfschmerzen bereitet, ist die Einstellung von Rainer König. Warum stellt er mich ein, wenn er nicht an den Erfolg dieser Tätigkeit glaubt? Ist Silke Sommer stark genug, um die für eine systematische Neugeschäftsarbeit notwendige Zeit auch wirklich durchsetzen zu können? Kann sich die Agentur den Neugeschäftsprozess überhaupt leisten? Wie steht es mit der Loyalität der bestehenden Kunden?

Ich halte es für eine gute Strategie, davon zu erzählen, wie in meiner bisherigen Agentur das Neugeschäft betrieben wurde, und wie ich es gelernt habe. Dabei achte ich peinlich genau darauf, dass es nicht als Vorwurf oder gar schulmeisterlich zu verstehen ist. Es funktioniert. Beide hören mir sehr genau zu. Die Kraft der Agenturmarke meines vorherigen Arbeitgebers entfaltet ihr volles Potenzial.

Schließlich kommen wir zu dem Punkt, dass ich mich noch weiter in die Fragmente der Arbeit meines Vorgängers einarbeite und dann erneut das Gespräch mit Rainer König und Silke Sommer suche. Beide signalisieren, dass sie sehr gespannt sind, was ich denn an Erkenntnissen gewinnen werde und welche Empfehlungen ich daraus ableiten werde.

Ich begebe mich in mein Büro. Als ich am Empfang vorbeikomme, nehme ich mit halbem Ohr wahr, wie Natalie während eines Gesprächs mit einem Kollegen ein Telefonat annimmt. Diesmal redet sie noch schneller bei der Nennung des Firmennamens und ihrer Begrüßung.

Während ich die Aufzeichnungen meines Vorgängers nach verwertbaren Informationen durchsuche, beschleicht mich das Gefühl, dass Rainer König es vermutlich lieber haben würde, wenn ich stattdessen weitere Telefonanrufe mit irgendwelchen CMO's führen würde. Sein Verständnis von meiner Tätigkeit scheint eher etwas mit Telefonverkauf und Hardselling zu tun zu haben, als mit dem systematischen und strategischen Aufbau eines Vertriebs.

Eins steht für mich jedenfalls fest: Hier muss ich ziemlich weit vorne anfangen.

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