Silke Sommer lenkt auch gleich ein. Sie verweist darauf, dass Agenturen ihrer Größenordnung heute an so vielen Fronten kämpfen müssen, dass in jedem Fall ein Weg für ein systematisches Neugeschäft gefunden werden muss. Ihrer Meinung nach müsse es jemanden geben, der sich ausschließlich darum kümmere. Was von selbst reinkomme, reicht einfach nicht mehr aus, um die Agentur in ihrer jetzigen Größe konstant auszulasten. In diesem Moment wird mir klar, dass sie die treibende Kraft in dieser Angelegenheit ist und offenbar gegen gewisse Vorbehalte ihres Kollegen anarbeiten muss.
Ich beginne damit, erste Fragen zu stellen. Was wurde denn
in Sachen Neugeschäft unternommen in den letzten zwei Jahren? Rainer König
beginnt mit der Aufzählung verschiedener Aussendungen, die man gemacht habe. „Alle
sehr kreativ!“ „So etwas hat man noch nicht gesehen!“, behauptet er. Mich
beschleicht ein ungutes Gefühl. Ist das wirklich alles? Ist das das Niveau, auf
das ich mich hier einlasse? „Natürlich haben wir auch alles andere schon
ausprobiert“, legt Rainer König noch nach. „Facebook, XING und was es sonst
noch alles gibt. Kann man alles vergessen!“. Er weiß schon gar nicht mehr, was
alles ausprobiert wurde. Letztendlich habe alles nur Geld und unendlich viel
Zeit gekostet.
Ich unternehme den Versuch, meinen ersten Eindruck aus dem
bisher Gesehenen zu schildern. Dabei bin ich um größtmögliche Diplomatie
bemüht, denn eigentlich habe ich in den ganzen Unterlagen nichts wirklich Substanzielles
gefunden. Eine Zielkundenkartei o.ä. gibt es nicht. Die vorhandenen
Aufzeichnungen von Kontakten bzw. Gesprächen sind kaum von Wert, weil sie eher
eine ausgeführte Tätigkeit dokumentieren, als einen qualitativen Hinweis auf
den Stand des Kontaktes geben. Das allerdings mit Datum und Uhrzeit! Es wäre
mir nicht möglich, den Stand der aktuellen Interessentenkontakte zu erkennen,
sage ich. Keine Kategorisierungen nach Interessensgrad, keine Wiedervorlagen,
keine erkennbaren Prioritäten in Bezug auf die angesprochenen Unternehmen. Noch
nicht einmal die kompletten Kommunikationsdaten der Gesprächspartner mit
genauer Funktion.
Es ist still im Raum. „Nun ja, dafür haben wir Sie ja
jetzt“, sagt Rainer König und versucht dadurch das Ruder in der Hand zu behalten.
Silke Sommer wird da schon konkreter: „Wir haben schon gemerkt, dass Ihr Vorgänger
nicht sehr systematisch arbeitete. Seine Qualitäten lagen mehr im persönlichen
Auftritt. Er konnte sehr hartnäckig sein!“
Mir wird klar, dass ich mich in meiner Arbeit umstellen muss.
Das Niveau meines bisherigen Arbeitgebers war ein deutlich anderes. Gut, dass
ich das erleben durfte. Ohne diese Erfahrung wäre die hiesige Aufgabe für mich
kaum einzuschätzen, geschweige denn zu bewältigen. Was mir allerdings
Kopfschmerzen bereitet, ist die Einstellung von Rainer König. Warum stellt er
mich ein, wenn er nicht an den Erfolg dieser Tätigkeit glaubt? Ist Silke Sommer
stark genug, um die für eine systematische Neugeschäftsarbeit notwendige Zeit
auch wirklich durchsetzen zu können? Kann sich die Agentur den
Neugeschäftsprozess überhaupt leisten? Wie steht es mit der Loyalität der
bestehenden Kunden?
Ich halte es für eine gute Strategie, davon zu erzählen, wie
in meiner bisherigen Agentur das Neugeschäft betrieben wurde, und wie ich es
gelernt habe. Dabei achte ich peinlich genau darauf, dass es nicht als Vorwurf
oder gar schulmeisterlich zu verstehen ist. Es funktioniert. Beide hören mir
sehr genau zu. Die Kraft der Agenturmarke meines vorherigen Arbeitgebers
entfaltet ihr volles Potenzial.
Schließlich kommen wir zu dem Punkt, dass ich mich noch
weiter in die Fragmente der Arbeit meines Vorgängers einarbeite und dann erneut
das Gespräch mit Rainer König und Silke Sommer suche. Beide signalisieren, dass
sie sehr gespannt sind, was ich denn an Erkenntnissen gewinnen werde und welche
Empfehlungen ich daraus ableiten werde.
Ich begebe mich in mein Büro. Als ich am Empfang
vorbeikomme, nehme ich mit halbem Ohr wahr, wie Natalie während eines Gesprächs
mit einem Kollegen ein Telefonat annimmt. Diesmal redet sie noch schneller bei
der Nennung des Firmennamens und ihrer Begrüßung.
Während ich die Aufzeichnungen meines Vorgängers nach
verwertbaren Informationen durchsuche, beschleicht mich das Gefühl, dass Rainer
König es vermutlich lieber haben würde, wenn ich stattdessen weitere
Telefonanrufe mit irgendwelchen CMO's führen würde. Sein
Verständnis von meiner Tätigkeit scheint eher etwas mit Telefonverkauf und Hardselling
zu tun zu haben, als mit dem systematischen und strategischen Aufbau eines
Vertriebs.
Eins steht für mich jedenfalls fest: Hier muss ich ziemlich
weit vorne anfangen.
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