Die Situation ist mir ja durchaus vertraut und ich muss gestehen, dass ich mich auch privat nicht immer so tough verhalte. Da ist diese Situation mit Lia und Adrien. Beide finde ich ausgesprochen reizvoll. Mit beiden könnte ich mir eine Zukunft vorstellen. Aber es fällt mir derzeit wahnsinnig schwer, hier eine konsequente Entscheidung zu treffen. Lia, die pragmatisch Lebenstüchtige, die um keine Antwort verlegen ist und bei der jeder merkt, wenn sie den Raum betritt. Adrien, die Hübsche, Zarte, bei der die Beschützerinstinkte in Mann und Frau geweckt werden und die von Jedermann mit irgendeinem Superlativ belegt wird. Welche ist da die richtige Wahl? Da ist sie wieder, die Frage nach dem Ziel. Partnerschaft auf Augenhöhe oder die Bewunderung der „Crowd“? Schwierige Entscheidung!
In Bezug auf meinen Job benötige ich
diese Klarheit aber jetzt. Leider sind wir immer noch nicht so weit, unsere
zukünftige Ausrichtung formuliert zu haben und einen Neugeschäftserfolg auch
qualitativ bestimmen zu können. Denn „wir brauchen neue Kunden, mit denen wir
Geld verdienen!“ ist keine Zielsetzung, mit der ein verantwortungsbewusster New
Business Manager arbeiten kann. Selbst dann nicht, wenn es zunächst einmal
„nur“ darum geht, die richtigen Anfragen oder Ausschreibungen zu selektieren.
Und genau das ist meine derzeitige
Aufgabe. Selbstständige Anfragen von Werbungtreibenden erhalten wir leider noch
sehr selten. Folglich konzentriere ich mich auf die Auswertung von
veröffentlichten Ausschreibungen. Aber auch dafür benötige ich
Selektionskriterien. Wollen wir bspw. bestimmte Leistungen der Agentur
forcieren? Suchen wir die Nähe zu bestimmten Branchen oder schließen gar welche
aus? In welchen Regionen wollen wir unsere Kunden betreuen? Welche Unter- bzw.
Obergrenzen gibt es für Projekte? Wollen wir ausschließlich als Leadagentur
fungieren oder wären wir auch bereit in sogenannten Bietergemeinschaften zu
agieren? Diese und weitere Fragen müssen beantwortet werden. Und zwar von der
Geschäftsleitung. Denn jede der ausstehenden Antworten trägt zur strategischen
Ausrichtung der Agentur bei. Und die ist nun mal Aufgabe der Geschäftsleitung.
Ich erhalte einen sechs-Ohren-Termin
und trage Silke Sommer und Rainer König meinen Wunsch nach einer klaren Zielformulierung
vor. Die dadurch ausgelöste Diskussion fällt grundsätzlicher aus, als ich
befürchtet habe. Schon zu Beginn offenbart sich, dass sich meine Geschäftsleitung
nicht einig darüber ist, ob das Neugeschäft in erster Linie neues Geld
einbringen oder die Agentur auch positionieren soll. Rainer König sieht
vorrangig den wirtschaftlichen Ansatz. Er möchte vor allem gutes Geld verdienen
und sucht nach solventen Kunden mit möglichst interessanten Aufgaben. Silke
Sommer hingegen setzt – erwartungsgemäß – mehr auf ein strategisch
ausgerichtetes Neugeschäft. Sie argumentiert unter anderem damit, dass es der
Agentur nur so gelingen wird, auch in Zukunft noch die besten Mitarbeiter zu
gewinnen. Das Argument von Rainer König, dass diese vor allem mal gut bezahlt
werden möchten, überzeugt selbst ihn nicht wirklich.
Tendenziell bewegt sich die
Diskussion eher in Richtung strategischer Ausrichtung. In der zweiten Stunde
gelingt mir ein kleiner Coup: Bei der Auswertung der getätigten Jobs fiel mir
damals auf, dass die Agentur in bestimmten Monaten signifikant stärker
ausgelastet war als im Rest des Jahres. Wie wäre es, wenn wir Projekte suchen
würden, die speziell in den Monaten mit der geringeren Auslastung zu leisten
wären?
Mit diesem Hinweis gerate ich schlagartig
auf die Shortlist zum Mitarbeiter des Monats. Wie das gehen könne, fragt Rainer
König spürbar interessiert. Nun, die Monate mit einer geringen Auslastung sind
in unserem Fall die Monate Juni bis August und November bis Februar. Wenn wir
Auftraggeber finden, deren Jobs in diese Zeiträume fallen, wäre das so ein Weg.
Also ein Auftraggeber, der bspw. zu Jahresbeginn eine Veranstaltung oder eine
Publikation herausbringt, benötigt den November, Dezember und vielleicht sogar
Januar an Manpower. Das können wir leisten. Der Vorschlag wird angenommen.
Weitere Vorgaben sind ein Projektvolumen von mindestens 250.000 €, bevorzugt im
Bereich Verkehr, ein Einsatzort im Umkreis von 200 km und eine Ausschreibung,
die nicht ausschließlich auf das billigste Angebot abzielt.
Na, geht doch! Damit kann ich
arbeiten.
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